Wie die Corona-Krise eine Veränderung im Verkehrskonzept der Städte notwendig macht
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Während vor der Verbreitung des Corona-Virus alle Mobilitäts-Ansätze dazu dienen sollten, private Autos stehen zu lassen und stattdessen die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen, ist der Ton im Moment ein anderer: Es wird dazu geraten, öffentliche Verkehrsmittel so weit wie möglich zu meiden und der Fokus liegt wieder auf individuellen Fortbewegungsmitteln – vor allem das Auto und das Fahrrad werden zumeist genannt.
Während die Pandemie zu einer Vielzahl neuer Regeln führte, wurden im Mobilitätsbereich der Kommunen die meisten Regeln gelockert: So werden in beinahe allen Kommunen die Ticket-Kontrollen des öffentlichen Nahverkehrs ausgesetzt und der Kauf eines Tickets zum Beispiel beim Busfahrer ist aufgrund von Absperrungen nicht möglich. Manche Städte, wie beispielsweise Lissabon oder vereinzelte Gemeinden in Österreich, gehen noch weiter und lassen die Parkraumbewirtschaftung für den Zeitraum der Corona-Krise ruhen – Maßnahmen als Reaktionen auf die Verbreitung des Virus.
Finanzielle Einbußen durch die Aufhebung von Regularien
Diese Veränderungen wurden eingeführt, um zum einen die Kontaktketten innerhalb der Bevölkerung gering zu halten, um anderen aber auch, um auf Ausfälle in den eigenen Reihen zu reagieren. Damit weiterhin genug Beschäftigte den öffentlichen Nahverkehr sicherstellen können, Busfahrer also beispielsweise weiterhin fahren, muss diesen der größtmögliche Schutz gewährleistet werden können. Dazu gehört auch, deren Kontakt zu Dritten so gering wie möglich zu halten. Gleichzeitig führt die Pandemie überall zu Ausfällen der Mitarbeiter, sei es durch die Betreuung der Kinder, durch die Erkrankung selbst oder durch die Quarantäne-Maßnahmen für Kontaktpersonen von Infizierten. Eine Einschränkung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) auf eine reduzierte Fahrtenanzahl und das Aussetzen der Parkgebühren oder der Ticketkontrolle führt für die Kommunen zu massiven finanziellen Einbußen. Bereits jetzt kommt es bei den ÖPNV-Unternehmen zu Einnahmeverlusten zwischen 60-90%, da diese sich im regulären Betrieb zu 50% durch die Ticketbezahlung finanzieren und gleichzeitig steigende Kosten für die Einhaltung der Hygieneregeln auszugleichen haben. Sowohl direkt als auch indirekt über die Betreiber der Nahverkehrsangebote führen die Lockerungen der Regeln in der städtischen Mobilität zu Ausfällen in den Kassen der Städte. Eine Herausforderung, die auch nach der Corona-Krise bestehen bleiben wird.
Nicht nur weil die finanziellen Abstriche noch langfristig Auswirkungen haben werden, sondern auch durch das Nutzungsverhalten der Bevölkerung werden die Einnahmen der Städte zukünftig stark beeinflusst sein. Die Bürgerinnen und Bürger werden vermutlich auch nach der Krise weiterhin öffentliche Verkehrsmittel – und damit sogenannte „Virenschleudern“ – vermeiden und individuelle Mobilität priorisieren. Der Haushalt der Kommunen wird eingeschränkt bleiben und dementsprechend auch die Investitionen in die Modernisierung des ÖPNV beschränkt halten – und das obwohl wir insbesondere vor dieser Herausforderung, der Mobilitätswende, noch lange stehen werden.
Herausforderungen der Städte auch „nach Corona“
Was bedeutet das also für die Kommunen für eine Zeit „nach Corona“? Welche Lösungsansätze können trotz knapper Kassen verfolgt werden, die auf die Veränderungen in der Gesellschaft reagieren: die Veränderungen im Nutzungsverhalten, die durch Corona ausgelöst wurden, und gleichzeitig die Veränderungen, die im Zuge einer nachhaltigen Mobilität gefordert werden?
Zum einen ist davon auszugehen, dass auch weiterhin viele Nutzer auf das eigene Auto zurückgreifen werden, um sich den Kontakten im öffentlichen Raum nur so wenig wie möglich auszusetzen. Um dennoch hier die Parkraumbewirtschaftung einhalten zu können und daraus auch die finanziellen Mittel zu generieren, gleichzeitig aber das Personal zu schützen und unnötige Kontakte zu vermeiden, ist es langfristig sinnvoll, auf Smart-Parking Systeme zurückzugreifen. Diese identifizieren mithilfe von Sensoren freie Parkplätze, welche dem Nutzer in einer App angezeigt werden. Der Nutzer wiederum kann den Parkplatz dann direkt ansteuern und die Parkgebühren direkt über dieselbe App bezahlen. Eine in Deutschland viel genutzte Möglichkeit ist die „Park and Joy“-App der Deutschen Telekom, über welche der Parkplatz online bezahlt werden kann und welche außerdem eine Direktnavigation zum freien Parkplatz anbietet – letzteres allerdings nur in Hamburg. Smart Parking ist somit eine Möglichkeit für die Kommunen, Parkraumbewirtschaftung weiterhin durchzuführen und gleichzeitig aus dem „Home Office“ dessen Einhaltung sicherzustellen und zu überprüfen. Dabei bleibt es jedoch wichtig, dass sich die Kommunen nicht von einzelnen Anbietern der entsprechenden Lösungen abhängig machen, sondern langfristig eigene Lösungen entwickeln, um ihre Unabhängigkeit sicherzustellen.
Zurück zu Individualverkehr? – die Stunde der Fahrräder und E-Scooter
Andererseits wird es auch weiterhin die Aufgabe der Stadt bleiben, trotz abnehmender Investitionsmöglichkeiten, nachhaltige Mobilitäts-Modelle voranzutreiben und deren Nutzung zu fördern: Ein Fokus sollte und wird vermutlich zukünftig auf individuellen Verkehrsmitteln liegen, die den zwischenmenschlichen Kontakt verringern und trotzdem nachhaltig einsetzbar sind – so zum Beispiel Fahrräder und E-Scooter. Gerade in den Sommermonaten sind dies hilfreiche Fortbewegungsmittel, die die Nutzung des ÖPNV einerseits und des eigenen PKWs andererseits umgehen können. Durch die verstärkte Vermarktung von E-Scootern oder Leihrädern wird den Bürgerinnen und Bürgern ein Mittel an die Hand gegeben, das eigene Auto wieder stehen zu lassen und gleichzeitig weitestgehend öffentliche Kontakte zu vermeiden. Für die Städte werden außerdem Einnahmen sichergestellt, sodass sie, sei es auch nur indirekt durch die Abgaben de Roller-Betreiber, auch finanziell von dieser Lösung profitieren.
Die Krise als Auslöser für langfristige Veränderungen
Im Zuge der Krise ist es aber auch essentiell, sich Gedanken über mittel- und langfristige Lösungen zu machen, um einer solchen Situation demnächst vorbeugen zu können. Wie kann eine Stadt also zukünftig das eigene Personal besser schützen, ohne dadurch Einnahmeausfälle hinnehmen zu müssen?
Eine Möglichkeit dahingehend wurde schon durch den Smart-Parking Ansatz deutlich: Zukünftig wird eine Digitalisierung der Mobilitätsangebote und -kontrollen nicht mehr nur ein angenehmes Add-on, sondern eine ökonomische Notwendigkeit sein. Durch die Einführung von „mobile payment“ und gegebenenfalls von digitalen Kontrollen am Eingang der Haltestationen, wie es in fast allen europäischen Metropolen wie Brüssel, Paris oder London schon der Fall ist, können Einnahmen aus dem ÖPNV sichergestellt werden, ohne dabei einen vermeidbaren Einsatz von Kontrolleuren hinnehmen zu müssen.
Die Corona-Krise zeigt, wie anfällig die Mobilitätsbranche und insbesondere der öffentliche Personennahverkehr der Städte für maßgebende öffentliche Veränderungen ist. Die Weiterentwicklung innovativer Modelle im urbanen Verkehr wird dadurch zu einem notwendigen und realistischen Zukunftsszenario. Sie lässt sich nicht mehr länger verdrängen, wenn die finanzielle und ökonomische Situation der Städte nicht mehr in diesem Maße beeinflussbar und abhängig von Krisensituationen sein soll. Wie in so vielen Bereichen, kann also auch in der städtischen Mobilität die Krise in gewissem Rahmen als Chance gesehen werden, um eine längst überfällige Modernisierung und Digitalisierung der Verkehrsbranche umzusetzen.